Ein Tag im Leben eines selbstständigen Mediengestalters & Frontend-Entwicklers

Sieht unglaublich unbequem aus aber so ungefähr stellen sich Freunde und Familie meine Arbeit vor.
(Foto: Man working on laptop on beach chair, designed by Freepik, Premium license)

Ich weiß nicht genau wieso aber aus irgendeinem Grund schlägt mir Youtube immer mal wieder Video mit dem Titel „Ein Tag im Leben eines (hier fancy Berufsname einsetzen)“ vor. Die scheinen beliebt zu sein – also steige ich hier mal schwungvoll aufs Trittbrett und fahre ein Stück mit.

6:00 Uhr

Der Wecker klingelt, die Vögel zwitschern. Beschwingt springe ich aus dem Bett und begrüße den Tag mit einer ausgedehnten Yoga-Session. Anschließend laufe ich aus purer Lebensfreude breit lächelnd meine tägliche Fünfkilometerrunde um die örtlichen Seen, genieße die Ruhe und lausche vor dem rhythmischen Traptrap meiner fröhlich wippenden Laufschuhe den morgendlichen Klängen der Natur. Ein Reh am Wegesrand winkt mir mit seinem Huf.

6:05 Uhr

Ich wache auf. Und stelle fest, dass das wahre Leben nicht immer so bunt ist wie hochauflösende Youtube-Videos und Instagram-Posts. Außerdem renne ich voll ungern, schon garnicht früh.
Ich drücke die Schlummern-Taste auf dem Smartphone, ziehe die Decke über den Kopf und döse erneut ein.

6:15 Uhr

Ich verfluche mich innerlich dass ich nicht schon 10 Minuten früher aufgestanden bin. Jetzt wird es ein sehr sportliches Morgenprogramm. Zeitlich gesehen.
Ich dusche schnell, oder nehme mir das zumindest vor, und schaffe dann doch nicht rechtzeitig den Absprung aus dem angenehm warmen Nass. Bei morgendlichen Außentemperaturen um den Gefrierpunkt, nimmt man was man kriegt.

6:30 Uhr

Doch viel später als beabsichtigt eile ich in die Küche. Dort heißt es nun im Akkord Schulbrote für die Kids zu zaubern. Die wollen eigentlich jeden Tag das Gleiche auf die Stulle aber ich versuche durch die Beigabe wechselndem Obst, Gemüse und einer kleinen Süßigkeit Farbe in den Alltag zu bringen. Nebenbei verkündet mir Alexa die aktuellen Nachrichten: Krieg hier, Krieg da, Elend, Armut, alle bekloppt geworden, die Bahn streikt. Zumindest soll heute die Sonne scheinen.

6:45 Uhr

Das Frühstück steht auf dem Tisch, die Kids kommen verpennt und mit hängenden Schultern die Treppe herunter geschlappt. Die Frühstücks-Cerealien werden einigermaßen lustlos gegessen, wir bereden den Tag. Nebenbei dudelt das Radio repetitive Popsongs, dazwischen plappern überdrehe Morgensendungs-ModeratorInnen wirres Zeug.

Fast Forward, 7:45 Uhr

Die Kids sind in der Schule, ich im Büro. Ich prüfe die am Abend und über Nacht eingegangenen Mails (einige meiner Auftraggeber schlafen offenbar nie), beantworte die dringendsten sofort und markiere die weniger kritischen für später.

8:15 Uhr

Ich schaue meine Aufgabenliste in Omnifocus durch, um einen Überblick zu bekommen was heute und morgen am Wichtigsten ist und picke mir den ersten Task des Tages heraus. Ich wähle etwas Leichtes zum Warmwerden: Ein Auftraggeber wünscht einen vierseitigen Flyer, hat nötige Texte und ein paar Bilder schon mitgeliefert. Perfekt! Während im Dock des Macs das InDesign-Icon bounct nehme ich noch einen Schluck meines inzwischen nur noch lauwarmen Kaffees.

10:03 Uhr

Die erste Version des Flyers ist fertig. Ich füge dem Auftraggeber noch ein paar alternative Bildideen sowie eins zwei Anmerkungen zu vorgenommen Textanpassungen bei und schicke alles per E-Mail auf reisen. Wuusch mach das Mail-Programm, Aaah mache ich während ich mich vorm Steh-Schreibtisch strecke. Dann begebe mich auf den Weg zur Kaffeemaschine. Kleine Pause.

10:15 Uhr

Ich bin zurück am Mac, markiere im Omnifocus den Flyer als erledigt und schaue was als nächstes ansteht: Ein Klient benötigt ein paar funktionale Änderungen an seiner Website. Und weil ich einmal dabei bin und ohnehin vorab ein vollständiges Backup anlege, werde ich auch gleich aktuelle Updates des Content Management Systems und seiner Module einspielen. Das wird etwas länger dauern als das Pixel-Schieben im InDesign zuvor, also los gehts!

10:48 Uhr

Ich habe die eigentlich geplante Aufgabe noch immer nicht begonnen, weil zwei Anrufe und eine E-Mail mit Ganzdollewichtig-Eilt-Eilt-Betreff dazwischen kamen. Okay, alles erledigt, alle zufrieden, jetzt aber wirklich los!

11:00 Uhr

Einer der beiden Anrufer von vorhin klingelt erneut durch, um mit mir eine neue Idee zu bereden, die komplett von dem zuvor Besprochenen abweicht. Kein Problem, auch dafür kann ich eine Lösung anbieten. Ich stelle das Telefon auf Nicht-Stören, schließe das Mail-Programm und begebe mich gedanklich zurück nach 10:15 Uhr. Jetzt aber!
Ich logge mich per SSH auf dem Server ein, erstelle ein ZIP-Archiv der Website-Dateien und einen SQL-Dump der Datenbank. Beides nutze ich für die Einrichtung einer Arbeitskopie – die funktionalen Änderungswünsche sind so weitreichend, dass ich Sie keinesfalls an der Live-Website in die Tat umsetzen möchte. Ich nehme das ganze noch in ein Git-Repository auf und beginne mit den nötigen Arbeiten an Content Management System und Code.

13:48 Uhr

Es ist geschafft, alles läuft wie gewünscht, keine Fehler im Error-Log. Das sieht gut aus.
Ich stelle dem Auftraggeber einen passwortgeschützten Zugang zu meinem Testserver bereit, damit er sich schon vor Veröffentlichung der Änderungen einen Bild davon machen und eventuelle weitere Änderungswünsche vorbringen kann.
Mittagspause!

14:05 Uhr

Ich checke die im Nicht-Stören-Modus verpassten Anrufe. Es sind drei an der Zahl, ich rufe alle zurück.

14:38 Uhr

Alle Fragen geklärt, alle Wünsche erfüllt. Naja, zumindest teilweise – ein paar Dinge notiere ich für später auf der Aufgabenliste.
Heute bin ich dran K2 aus der Schule abzuholen, bis dahin habe ich jetzt noch eine knappe Stunde Zeit. Ich picke mir den nächsten (für heute geplanten) Task heraus, lese das Briefing und schaue mir die bereitgestellten Daten an. Das Foto, welches groß auf ein Plakat soll, hat der Kunde von einem anderen Handy abfotografiert, die Fotodatei dann in ein Word-Dokument gepackt und mir als Vorlage bereitgestellt. Der alte Trick, uns Gestalter in den Wahnsinn zu treiben, funktioniert bei mir alten Hasen natürlich nicht: Ich extrahiere das Bild aus Word, frickle selbiges flink in das dafür vorgesehene Layout und schicke dem Kunden eine Ansicht. Mit der Bitte das Bild nach Möglichkeit im Original zur Verfügung zu stellen.

14:48 Uhr

Das Telefon klingelt. Der Anrufer von heute morgen, der mit den beiden konkurrierenden Ideen, hat eine neue Idee. Kein Problem sage ich, noch ist ja nichts begonnen. Ich bitte aber darum, vor dem Startschuss eine, höchstens zwei, der inzwischen drei Ideen zu favorisieren. Er nähme das mit in die nächste Besprechung und melde sich dann. Wir lachen noch gemeinsam über einen unfreiwilligen Wortwitz in der dritten Idee und einigen uns darauf, das zwei Ideen eigentlich auch erst mal reichen.

15:00 Uhr

Es ist nicht mehr viel Zeit bis ich Richtung Schule aufbrechen muss – was Umfangreiches brauche ich jetzt nicht mehr anfangen. Ich klicke mich also durch die Aufgabenliste und suche etwas, was ich noch schnell erledigen kann. Da! Ein Auftraggeber wünscht ein paar Preisänderungen in seinem Online-Shop. Könnte er zwar auch selber machen und macht er sonst auch selber aber offenbar hat er gerade keine Zeit. Dafür ich, knapp 30 Minuten um genau zu sein.
Ich nehme die Änderungen vor, prüfe auch gleich ob alle Plugins auf einem aktuellen Stand sind, schreibe eine kurze Erledigt-E-Mail und hake die Aufgabe ab. Jetzt muss ich aber wirklich los.

20:17 Uhr

Wer mitgerechnet hat, hat vielleicht bemerkt dass ich heute bisher nur etwas über sieben Stunden meiner Erwerbstätigkeit nachgegangen bin. Und da ich noch immer hart an der ersten Million arbeite (hust) und mein Leben als Privatier somit noch etwas warten muss, heißt es nun noch etwas liegen gebliebene Arbeit nachzuholen. Mein Biorhytmus zerrt allerdings schwer an mir, so dass ich mich auf vergleichsweise leichte Tasks beschränke: E-Mails, Druckdaten erstellen, Projektdokumentation, Buchhaltungs- und Abrechnungskram.

21:41 Uhr

Ich bin soweit durch – ein paar Tasks muss ich noch auf den nächsten Vormittag verschieben aber alles Dringende ist erledigt. Da ich keine Lust auf Fernsehen habe und meine Partnerin heute Abend nicht da ist, kümmere ich mich noch ein bisschen um eines meiner Open-Source-Projekte. Nichts Großes, nur einen Fehler korrigieren der in den letzten Tagen aufgefallen ist.

22:37 Uhr

Von wegen nichts Großes! Die nötige Anpassung war doch etwas komplexer als ich gehofft hatte aber jetzt scheint alles reibungslos zu laufen. Ich pushe die Codeänderungen nach Github und klappe müde den Laptop zu.

Resumé

Wie vermutlich bei Vielen, egal ob angestellt oder sebstständig, ist jeder Tag etwas anders als der davor. Es gibt Tage mit spannenden Projekten, Tage mit trögen Aufgaben. Tage an denen alles wie am Schnürchen läuft, Tage an denen scheinbar nichts klappt, das Telefon ständig klingelt und man sich am Ende des Tages fragt: Was habe ich heute eigentlich gemacht? Das echte Leben ist nicht so shiny, nicht so poliert und glänzend wie uns viele Youtube-Videos, Instagram-Posts und Portraits in Business-Magazinen glauben lassen wollen. Auch wenn mir vollkommen klar ist, das meine persönliche „Ein Tag im Leben (…)“-Story nicht als Clickbait-Post taugt: Ich liebe das was ich tue und bereue keine Tag diesen Weg eingeschlagen zu haben.

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